Der lange Weg zum Fußballprofi

In der dritten Liga läuft es für Pascal Testroet in dieser Saison gut. Man könnte sogar sagen richtig gut – wären da bloß nicht diese Verletzungen. Nachdem er einen Bänderriss überstanden hatte und sich mit bereits drei Doppelpacks in der laufenden Saison in toller Form präsentierte, verpasst er wohl nun durch eine neuerliche Verletzung die große Chance auf sein Debut in Werders Profiteam. Diese Chance hätte der beste Torschütze aus Werders U23-Mannschaft wiederum dem Verletzungspech seiner Mannschaftskameraden zu verdanken gehabt.

Claudio Pizarros Einsatz im Bundesligaspiel morgen gegen Nürnberg ist noch unklar. Hugo Almeida ist nach langer Pause körperlich noch nicht wieder auf der Höhe. Marcelo Moreno verletzte sich bei seinem Auftritt im Pokal gegen Kaiserslautern ebenso wie Torsten Oehrl, Pascals Sturmkollege aus der zweiten Mannschaft, der am Mittwoch sein erstes Tor für die Profis erzielt hatte. Neben dem gesetzten Marko Marin stehen damit nur noch Markus Rosenberg und Said Husejinovic für den Angriff zur Verfügung. Beide haben bei Thomas Schaaf momentan nicht die besten Karten: Rosenberg wurde letztes Wochenende aus dem Spieltagskader gestrichen und musste im Pokal 90 Minuten auf der Bank sitzen. Husejinovic gehört zu den drei Spielern, die in der letzten Transferperiode verkauft werden sollten und nun nicht mehr eingesetzt werden. Am Mittwoch stand er zum ersten Mal in dieser Saison im Kader. Es hätte Pascals große Chance sein können.

Nun hat er sich am Mittwoch im Training eine Fußverletzung zugezogen und wird vermutlich nicht rechtzeitig bis zum Spiel wieder fit. Im Fußball sind es oft diese kleinen Zufälle, die über den Durchbruch eines Spielers entscheiden können. Teamkollege Oehrl hat es vorgemacht: Er war häufig zwischen erster und zweiter Mannschaft gependelt, stand teilweise an einem Wochenende bei zwei Spielen im Kader. Am Mittwoch konnte er sich mit seinem Tor für weitere Einsätze empfehlen. Seinen Einsatz über 45 Minuten hatte er Morenos Verletzung zu verdanken. Eine ähnliche Situation hätte auch Pascals Profikarriere ankurbeln können. So heißt es für ihn nun weiterhin hart zu arbeiten, in der dritten Liga Leistung zu bringen und auf die nächste Chance zu warten. Irgendwann wird er sie bekommen und hoffentlich auch nutzen. Doch wann?

Es ist Pascals erste „richtige“ Saison im Herrenbereich, letzte Saison spielte er bekanntlich noch A-Jugend. Ein zu früher Einsatz in der Bundesliga kann die Entwicklung auch bremsen, dem Spieler fälschlicherweise signalisieren, er hätte schon viel erreicht. Auch die Öffentlichkeit könnte falsche, überzogene Erwartungen schüren, denen der Spieler (noch) nicht entsprechen kann. Man bedenke zum Beispiel die ersten Einsätze von Kevin Schindler oder Martin Harnik in Werders Profikader. Auf der anderen Seite kann der Schritt in den Profifußball auch zu spät kommen, bzw. gar nicht. Wer nach einigen Jahren in der zweiten Mannschaft eines Profivereins den Sprung in den A-Kader nicht geschafft hat, der wird ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht mehr schaffen. Die betreffenden Spieler sehen sich dann zumeist von selbst nach einem Arbeitgeber um, oder es wird ihnen vom Verein nahegelegt.

Zur Veranschaulichung zwei Beispiele: Ein ehemaliger Amateurspieler von Werder Bremen, dessen Namen ich nicht nenne, erzählte mir folgende Geschichte: Im Sommer 1997 gehörte er zu Werders Amateurkader. Trainer war damals ein gewisser Thomas Schaaf. Dessen Kollege bei den Profis, Dixie Dörner, stand bei Fans und Vereinsführung nach schwachem Saisonstart in der Kritik. Ein internationales Blitzturnier auf Teneriffa sollte die Mannschaft fernab vom Medienrummel zurück in die Spur bringen. Der Profikader wurde dabei um einige Amateure ergänzt; darunter auch besagter Spieler. Was folgte war eines der dunkelsten Kapitel in Werders Nachkriegsgeschichte. Gegen Gastgeber CD Teneriffa kassierte Werder eine 0:4-Klatsche. Torjäger Roy Makaay fertigte Werder in nur 16 Minuten mit einem Viererpack (!) ab. Vor dem Spiel am nächsten Tag gegen Atletico Madrid herrscht höchste Anspannung. Das Schicksal des Trainers steht auf dem Spiel. Dieser nimmt einige Umstellungen an der Mannschaft vor, setzt einige Amateure auf die Bank (meiner Erinnerung nach behauptete der besagte Spieler, in diesem Spiel zum Einsatz gekommen zu sein, was sich in der Spielstatistik jedoch nicht erkennen lässt). Werder spielt desolat, verliert das Spiel mit 0:8. Damit sind Dörners Tage auf der Trainerbank gezählt und auch der besagte Spieler beendet einige Zeit später demotiviert seine Karriere. Auslöser sei dieses Spiel gegen Atletico gewesen. Nach ein paar Jahren auf Regionalliganiveau hätte er gedacht, dass ihm niemand mehr etwas vormachen könnte. Spieler wie Christian Vieri und Juninho belehrten ihn wohl eines besseren. Der Schritt zum Profifußball war eindeutig zu groß.

Das zweite Beispiel betrifft ebenfalls einen ehemaligen Werder-Amateur, der inzwischen bei Borussia Wuppertal in der 3. Liga aktiv ist. In diesem Fall nenne ich den Namen: Mario Neunaber. Ich lernte Mario während meines Studiums kennen. Im Jugendbereich hatte er mit einigen Freunden von mir zusammen bei VfL 07 Bremen gespielt. Mit 13 wechselte er zu Werder Bremen. Er gehörte zu den wenigen, die es bei Werder durch den Jugendbereich bis in die Amateurmannschaft geschafft hatten. Ein echtes Eigengewächs. Doch dann ging es nicht mehr weiter. Der erhoffte Sprung zu den Profis blieb aus und Mario wechselte im Januar 2004 zu Sachsen Leipzig. Es folgte eine bewegte Karriere über die Stationen Preußen Münster, Kickers Emden, FC Ingolstadt und nun schließlich Wuppertal. Mit Ausnahme einer Saison in der 2. Bundesliga spielte er ausnahmslos in Liga 3. Bedenkt man, wie viele Spieler beim Kampf um eine Profilaufbahn auf der Strecke bleiben, ist das eine herausragende Leistung. Den großen Schritt zum „richtigen“ Bundesligaprofi hat er trotzdem nicht geschafft.

Vielleicht reichte in beiden Fällen das Talent für eine große Fußballkarriere einfach nicht aus. Auch wenn man die Rolle des Zufalls* nicht unterschätzen sollte, wenn es um den Einstieg ins Profigeschäft geht, liegt es doch am Spieler selbst, seine Chance zu nutzen, wenn sie sich bietet. Und einmal bietet sie sich jedem. Früher oder später wird sich für Pascal Testroet eine ähnliche Situation wie an diesem Wochenende ergeben. Hoffentlich wird es für ihn der richtige Zeitpunkt sein. Denn dass er das Zeug zum Fußballprofi hat, ist nicht nur in Bremen unbestritten.

Edit: Zum zweiten Mal schreibe ich über eine Verletzung, wegen der Pascal Testroet beim nächsten Spiel nicht dabei sein kann – zum zweiten Mal steht Pascal noch am selben Tag trotzdem auf dem Platz. Vielleicht sollte ich ihm jede Woche eine Verletzung andichten…

* Wahlweise durch „Schicksal“ oder „Fußballgott“ ersetzen.